Das Harz der Persephone

Abb. oben: Stolz zeigt die spitz kegelförmige Knospe der Schwarz-Pappel in den Götterhimmel. Dabei ist der Baum Persephone, der griechischen Göttin der Unterwelt, zugeordnet. Im Unterschied zur verwandten Weide besitzt die Winterknospe nicht eine, sondern mehrere Knospenschuppen mit rot- bis olivbrauner Farbe. (Foto: Vogt)

Um in den Hades zu gelangen, muss man zuerst den Pappelhain der griechischen Göttin der Unterwelt durchqueren. Erst danach gelangt man an das Ufer des Styx, wo Charon, der Fährmann, geduldig auf die große Überfahrt wartet. Zum Glück finden wir Persephones Baum auch zu Lebzeiten oberirdisch in Weichholz-Auwäldern, Schotterbänken von Flüssen oder in anderen Pioniergesellschaften. Wie verwenden wir nun speziell die Schwarz-Pappel (Populus nigra) in der Heilpflanzenkunde?

Rinde oder Knospe?

Wie bei der Weide neigt sich im Frühjahr auch bei der Schwarz-Pappel die optimale Erntezeit der Rinde zu Ende. Mit steigender Temperatur nimmt das salicylatreiche „Vokabular“ in der Rinde von Weidengewächsen stetig ab. Nun rücken die schlank kegelförmigen, rot- bis olivbraunen, stark klebrigen Knospen ins Interesse einer Knospenmedizin, die sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Das bis zu 30 Meter hohe Pioniergehölz ist die einzige Pflanze, für welche die ehemalige Kommission E eine positive Monographie für eine Knospendroge erstellt hat. Für die äußere Anwendung halbfester Zubereitungen werden leichte Hautverletzungen, Sonnenbrand, Erfrierungen und Hämorrhoiden als sinnvolle Indikationen angeführt.

Auch die Cherokee in Nordamerika nutzen den klebrigen Knospenbrei der Schwarz-Pappel bei Hautleiden und Wunden. Ein Zufall? Nein, denn die fettlöslichen Ökomone („Pflanzensprachstoffe“) der Knospe liefern einen Balsam mit Diterpenharzen und Sesquiterpenen („Humulene“) mit anti-inflammatorischer und antimikrobieller Wirkung. Das hautwirksame Prinzip der Schwarz-Pappel wurde in Europa und der Neuen Welt unabhängig voneinander entdeckt und in die jeweilige Ethnomedizin aufgenommen. In der Flora alpina ist das Vorkommen nennenswerter Mengen von Terpenharzen in Laubgehölzen jedenfalls eine Besonderheit. Außerhalb heimischer Nadelhölzer finden wir diesen „Sprachtyp“ bei bedecktsamigen Pflanzen sonst eher bei Sumachgewächsen (z.B. Mastix), Doldenblütlern (z.B. Galbanum) oder Balsambaumgewächsen in subtropischen Klimaregionen.

Abb. oben: Weder die rötlich-braunen, eiförmig zugespitzten Knospen der Espe (links), noch die weiß behaarten Knospen der Silber-Pappel (rechts) liefern eine geeignete Ersatzdroge für die stark klebrigen, harzreichen Knospen der Schwarz-Pappel. (Foto: Vogt)

Zwei Seelen in der Brust

Auch in der Anwendung von Schwarz-Pappelknospen gegen rheumatische Beschwerden findet man eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen alpenländischer Volksheilkunde und Medizin der Cherokee. Ein parallel tradierter Irrglaube? Wohl kaum, denn der wasserlösliche Anteil der Knospeninhaltsstoffe enthält ähnlich der Weidenrinde auch schmerzlindernde Phenolglykoside wie Salicin oder Populin. Ein wenig der „Rindensprachkraft“ steckt also auch in der Knospe des Baumes. Je nach verwendetem Lösungsmittel, Wasser oder fettes Öl bzw. Ethanol, lässt sich entweder die „polare Seele“ oder die „apolare Seele“ der Pappelknospe einfangen.

Abb. oben: Wenn die in eine Spitze ausgezogenen Blätter der Schwarz-Pappel erscheinen, hat man die Erntefenster für Rinde und Knospe längst versäumt. (Foto: Vogt)

Haut schmeckt Pappel

Seit dem Jahr 2015 ist bekannt, dass unsere Haut mit einem hochspezifischen Bitterstoff-Rezeptor den Pappel-Sprachstoff „Salicin“ gut schmecken kann. Nur dass wir dieses „Schmecken“ nicht bewusst wahrnehmen, sondern auf Zellen der Oberhaut beschränkt bleibt. Dadurch verbessert sich die Syntheseleistung der Epidermis für eine Reihe von Verbindungen (z.B. Fillagrin, Keratin 10), welche den Barriereschutz der Haut nachweislich steigern und für Hauterkrankungen wie Neurodermitiden und Verhornungsstörungen von Interesse sein können.  

Wie es scheint besitzt Persephone eine schützende Hand für unsere Haut!

Pappelknospen-Hautöl

nach Vogt Dietmar

Indikationen für topische Anwendung: leichte Hautverletzungen, Sonnenbrand, Verbrennungen 1. Grades

Pappelknospensalbe-150dpi

Anmerkung zum Rezept: Die Knospen müssen rechtzeitig vor dem „Wassereinschuss“ (Xylemstrom für Blattentfaltung) geerntet werden. Man kann den Übergang von der „Harz-Phase“ zur „Wasser-Phase“ gut schmecken. Auch wenn das Salbenrühren zu einem volkstümlichen Sport geworden ist, muss nicht aus jedem fetten Auszug zwanghaft eine Salbe oder Creme produziert werden und mit zum Teil fragwürdigen Emulgatoren verkünstelt werden.

Viel Freude beim Pappeln wünscht Euer Phytagoras!

Vorschau: 06. April: Tagesseminar Weidengewächse in der Heilpflanzenkunde

Service: Knospentraining für heimische Gehölze (jetzt auch für Mobilgeräte)