Serie "Pflanzen-Ich-bin-Ich“

Die Mücken der Handwurz

Nur selten erinnert der Duft heimischer Pflanzen an Lebkuchen und Zimtsterne. Abseits von Christkindlmärkten kann man weihnachtliche Gerüche aber auch mitten im Sommer bei einer Rast im alpinen Rasen vernehmen. Wenn einem der vertraute Duft von Gewürznelken in die Nase steigt, ist wahrscheinlich die blühende Mücken-Händelwurz in unmittelbarer Nähe. Woher kommen die sonderbaren Gattungsnamen „Händelwurz“ oder „Handwurz“ für unsere heimische Orchidee?

Abb. oben: Die Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea) begleitet den Bergsteiger in den Südalpen bis in die Alpinstufe und ist dort oft mit dem Kohlröschen vergesellschaftet, mit dem es gerne Hybriden bildet. Die in walzenförmigen Trauben stehenden Blüten sorgen für zurückhaltende bis freche Violett-Töne im alpinen Magerasen. (Foto: Vogt)

Für kreative Konditorinnen und Wildgemüsefanatiker gleich vorweg: Als Ersatz für Blütenknospen des Gewürznelkenbaums (Syzygium aromaticum) darf die geschützte Orchidee nicht verwendet werden. Zwar konnte das für Gewürznelken typische Eugenol in Spuren nachgewiesen werden, der Duft entsteht aber aus der wundersamen Synergie von rund 50 flüchtigen Verbindungen und die typischen Polyphenole des Myrtengewächses fehlen auch. Dafür lädt die Staude zu einer heiteren Reise rund um ihre volkstümliche Namensgebung ein.

Abb. oben: Manchmal ist der Blütenstand lockerblütig mit hell-rosa gefärbten Blüten. Die breite Unterlippe ist breit dreilappig mit einem kaum kürzeren bis deutlich längeren Mittel- als Seitenlappen. Der dünne, sichelförmig nach unten gebogene Sporn ist1,5 bis 2 Mal länger als der Fruchtknoten. (Foto: Vogt Dietmar)

Kreatives Fingerspiel

Bei der volkstümlichen Taufe unserer „Handwurz“ hatte erwartungsgemäß die Signaturlehre ihre Hände mit im Spiel: In den geteilten Wurzelknollen der ausdauernden Pflanze erkannte sie eine wundersam verborgene Hand. Mit solch magischen Fingern lässt sich natürlich allerhand ergreifen – vor allem dann, wenn die verdickten Glieder auch gleich als Hoden oder Schamlippen gedeutet werden.

Der neapolitanische Arzt Giambattista della Porta prägt mit seinem Werk „Phytognomonica“ die südeuropäische Signaturlehre im 16. Jahrhundert. Die Abbildung zeigt die morphologischde Entsprechung zwischen der menschlichen Hand und den Speicherorganen einer Orchidee. Wahrscheinlich handelt es sich bei der linken Abbildung tatsächlich um unsere Händelwurz, die mit der Bezeichnung „palma Christi (major)“, der späteren „Großen Händelwurz“, beschrieben wurde. (Foto: Vogt)

So wundert es wenig, wenn von der Antike bis in die Renaissance die „Handblume“ in zahlreichen Liebesritualen und Rezepturen zur Erhöhung der Fruchtbarkeit, zur „Förderung der ehelichen Pflichten“ und sogar zur Geschlechterdeterminierung der Nachkommen auftaucht. Die Jagd nach den „Liebesfingern“ wurde dabei von zwei Faktoren begünstigt: Zum einen zog die griechische Mythologie schnell einen Bezug zu den Satyrn, also liebestollen Fruchtbarkeitsdämonen, zum anderen galten süß-schleimige Pflanzenteile von jeher als nährend und aufbauend in der Naturheilkunde. Eine besondere Kraft sollte die zur Sommersonnenwende gegrabene „Johannishand“ besitzen, worunter man das diesjährig angelegte Speicherorgan der Pflanze verstand, während die dunkle, vertrocknete Knolle des Vorjahres als unheilsame „Totenfinger“ gedeutet wurden.

Auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass habituell ähnliche Orchideen aus den Gattungen Knabenkräuter (Dactylorhiza, Orchis), Ragwurzen (Ophyrs) und Hundswurzen (Anacamptis) früher mit denselben Namen angesprochen und ähnlich verwendet wurden, behielt unsere Handwurz bis in die Neuzeit ihren eigenen Schwarm von „Mücken“.

Für ein Liebesspiel und Schabernack stets zu haben: Die Satyrn. Die Mücken-Händelwurz wurde einst mit Bezug auf die Fruchtbarkeitsdämonen auch als „satyrium basilicum“ bezeichnet. (Gemälde von Jacob Jordaens, 17. Jhd.)

Ein Schwarm von Mücken

Geht es um sonderbares Liebesglück, darf der Kuckuck nicht fehlen. So nannte man die Mücken-Händelwurz auch „Roten Guckuck“ mit einfallsreichen Abwandlungen wie „Kuckucks-Hoden“, „Guggehudel“, „Kuckuckstränchen“ oder mit Bezug auf die Blütezeit in der Kreuzwoche auch „Kreuzkuckuck“. Durch die Kombination von duftenden, rötlich gefärbten Blüten und den sonderbar geformten Knollen waren die beiden wesentlichen Siganturen für eine vermeintlich fruchtbarkeitsfördernde Pflanze gegeben.

Mancherorts wurde der lange Blütensporn als Schwanz der diebischen Elster (Atzel) gedeutet, woraus die „Atzelblume“ hervorging. Mehr mit der menschlichen Anatomie verbundene Geister erkannten im Sporn einen Penis und steckten diesen geschickt in eine „Hosenwurz“. Auch eine „Narrenblume“ wurde durch vermeintliche Ähnlichkeit der auffallenden Blüte mit einer Narrenkappe kreiert.

Den einzig wirklich auf die Biologie der Pflanze Bezug nehmenden Namen entdecken wir in der Gattungsbezeichnung „Gymnadenia“ (= griech. „Nackt-Drüse“), worunter die freien, also nicht in einer „Blatttasche“ verdeckten Klebkörper der Pollenpakte in der Blüte gemeint sind. Gemeinsam mit dem nachgestellten Artepitheton „conopseus“ resultiert eine vielversprechende „Mückenartige Nacktdrüse“, die dem deutschen Volksmund am Ende doch zu fremdartig erschien.

In Zukunft wird der Botaniker noch mehr "Mücken" um die Handwurz kreisen lassen. Das Bild zeigt wahrscheinlich eine "Alpen-Händelwurz", eine alpine Varietät der Mücken-Handwurz. Der dichte Blütenstand, die langen Tragblätter, die schwach gelappte Unterlippe, der rotbraun überlaufende Stängel und eine Wuchshöhe von meistens nur 20cm sind typische Merkmale. (Foto: Vogt)

Am allermeisten werden aber die Botaniker von den „Mücken“ der Handwurz geplagt und seit einigen Jahren muss er einsehen, dass er mit dem ursprünglich akzeptierten Namen „Gymnadenia conopsea“ zur Beschreibung der ganzen Sippe nicht mehr auskommt. In der Zwischenzeit wurden mindestens 3 Varietäten vorgeschlagen, die für andere auch als eigenständige Arten angesehen werden.   

Nicht immer haben die Griechen das alleinige Sagen bei der Namensgebung. Unsere Mücken-Händelwurz leitet mit dem Namen „Frigga-Gras“ zu guter Letzt noch in die nordische Mythologie und ehrt damit die Gattin Odins. Ob die hitzige Kraft ihres Sohnes Thors oder vielleicht doch mehr das versöhnliche Wesen Baldurs in der Orchidee inne wohnt, ist unbekannt.

Viel Spaß mit den Mücken der Handwurz wünscht
Phytagoras