Euphrasia: Trost oder Trugbild für die Augen?

Keine Pflanze Eurasiens prophezeit mit ihren volkstümlichen Namen so viel Heilkraft für unser Lichtsinnesorgan wie der Augentrost. Man muss weder Dänisch, Ungarisch noch Litauisch beherrschen, um die Bedeutung von „Öientröst“, „Szemviditó“ oder „Akysveite“ zu erahnen. In der französischen Volksheilkunde verspricht man sich von den „Casse-lunettes“ sogar eine Arznei, um nicht mehr länger benötigte Brillen (frz. lunettes) getrost zerbrechen (frz. cassere) zu können. Doch vermag der „Augendank“ seinen vielen verheißungsvollen Trivialnamen auch medizinisch gerecht zu werden? Führte der imaginäre Augenaufschlag der Blüte womöglich zu einer blinden Signaturenideologie? Aus Mangel an Wirksamkeitsbelegen verwehrte die ehemalige Expertenkommisson E vor dreißig Jahren dem traditionell genutzten Sommerwurzgewächs jedenfalls den Einzug in die rationale europäische Phytotherapie. Wie weitsichtig war dieses Urteil? 

Abb. oben: Augenaufschlag einer Nymphe? In Form und Zeichnung der Blüte erhoffte man einst die Signatur des Auges und daraus die medizinische Bestimmung des Sommerwurzgewächses zu erkennen. Im Bild macht ein Krain-Augentrost in den Südalpen jedenfalls schöne „Augen“ für Bestäuber. (Foto: Vogt)

Trostlose Hygiene

Ursprünglich gedachte die Europäische Arzneimittelagentur den Augentrost 2010 als traditionelles Medizinprodukt „zur symptomatischen Behandlung moderater Irritationen am Auge“ anzuerkennen. Der Stolperstein zur positiven Monographie lag aber im Bedenken des Komitees zur Hygiene der volkstümlich beliebten Teezubereitung für die äußere Anwendung. Von einer auf käufliche Fertigarzneimittel fokussierten Institution darf man sich nun keine Empfehlung für „primitive“ häusliche Zubereitungen erwarten, selbst wenn sich Augenumschläge in klinischen Beobachtungsstudien ohne Folgekomplikationen bewährt haben.
Auf Grund der exponierten Lage sowie der optischen Anforderung geschuldeten, eingeschränkten Barriereleistung zur Außenwelt stellt das Auge tatsächlich eines der infektionsgefährdeten Organe des Körpers dar. Gerade deshalb vermag sich das Auge tagtäglich mit Millionen von Erregern, Allergenen und anderen Noxen aus Aerosolimmission, Tröpfchen- und Schmierinfektion durch immunologische Anpassung erfolgreich zu „arrangieren“. Das von Augenärzten leidenschaftlich angedrohte Hygienerisiko topischer Teeanwendungen sollte deshalb relativiert werden. Das Institut für Pharmakognosie der Universität Porto bescheinigte Augentrost-Heißwasseraufgüssen zumindest eine stärkere antimikrobielle und antioxidative Wirkung wie vergleichbaren alkoholischen Auszügen. Doch spätestens bei der Frage nach medizinisch geeigneten Augentrostarten hätte die Arzneimittelagentur ohnehin untröstlich ihre Weitsicht verloren.

Die lockenden Augen der dreizehn Nymphen

In Österreich dürfen Kräutersammler erleichtert aufatmen, denn von den weltweit 350 bis 450 beschrieben Augentrostarten kann man hier lediglich dreizehn verschiedene „Augenweiden“, wie Gattungsvertreter bereits im Mittelalter genannt wurden, entdecken. Dennoch erfordert die Artbestimmung auch hierzulande ein geduldiges Auge, wenn man nicht jeden Fund aus einem Metern Entfernung trostlos als „Augentrost“ abfertigen möchte. Die gute Phytotherapie beginnt nun einmal mit der exakten Erkennung von Arten und nur so kann sich in ferner Zukunft eine mehr vertrauenswürdige Volksheilkunde entwickeln, die wieder neue Vertreter einer Gattung für sich entdeckt und differenziert nutzt.
Doch genau hier liegt der Hacken: Durch große Variabilität innerhalb der Arten, dem Auftreten von Unterarten, der Ausbildung morphologisch konvergenter Sippen und Hybridbildung herrscht bis heute auch in der Wissenschaft Uneinigkeit und Uneinheitlichkeit in Taxonomie und wissenschaftlicher Namensgebung der Gattung Augentrost. Die botanische Unsicherheit behinderte in Folge eine befriedigende pharmakologische sowie medizinische Erforschung, die nur auf einer „sauberen“ Sippenkenntnis zur Reproduzierbarkeit von Erkenntnissen aufbauen kann.

Abb. oben: Die Kombination von Merkmalen verrät hier einen Gewöhnlichen Wiesen-Augentrost (E. officinalis ssp. rostkoviana): Die am Grund breit-keilförmigen bis abgerundeten Deckblätter (a) besitzen beidseitig 4-6 unmittelbar aufeinanderfolgende Zähne (b). Aus der am Rücken gemessenen 8-12mm langen Krone (c) ragt der Griffel (d) deutlich heraus. Laubblätter und Deckblätter sind drüsig behaart (e). In manchen Werken wird diese Sippe als eigenständige Art (E. rostkoviana) angeführt und auch als „Rostkovs Augentrost“ bezeichnet. (Foto: Vogt)

Wenn man ehrlich bleibt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur eine von vierzehn in Österreich beschriebenen Arten phytochemisch, pharmakologisch und zugleich klinisch einigermaßen befriedigend erfasst: Der „Eigentliche Wiesen-Augentrost“ (Euphrasia officinalis) kommt entweder mit drüsenhaarigen Laub- und Deckblättern als Unterart „Gewöhnlicher Wiesen-Augentrost“ (E. o. ssp. rostkoviana) bevorzugt in frisch-mageren Bergwiesen in allen Bundesländern vor oder steigt als drüsenhaarloser „Bunter Wiesen-Augentrost“ (E. o. ssp. picta) bis in die Subalpinstufe Österreichs auf.

An seiner Stelle hält der Kräutersammler im Kalkgebirge oft ahnungslos den häufig vorkommenden „Salzburg-Augentrost“ (E. salisburgensis s. str.) in den Händen. Die Bestimmung zwergwüchsiger Individuen im alpinen Magerrasen über Silikatgestein führt in der Regel rasch zu untröstlichen Zweifel, denn vielleicht beäugelt man tatsächlich einen Zwerg-Augentrost (E. minima) oder das raue Gebirgsklima hat einer anderen Art dieselbe Gestalt aufgezwungen.
Noch kann man in den bedrohten Halbtrockenrasen Österreichs den kalkliebenden Heide-Augentrost (E. stricta) entdecken, der durch einst gebietsweise häufiges Vorkommen von der Volksheilkunde unreflektiert gleich dem Wiesen-Augentrost genutzt wurde. Es ist aber bedenklich, wenn der Deutsche Arzneimittel-Codex (DAC) diese in vielen Regionen Europas vom Aussterben gefährdete, praktisch nur durch Wildsammlung beziehbare und obendrein medizinisch unbefriedigend erforschte Art als Stammpflanze für die Droge „Augentrostkraut“ anführt.

Abb. oben: Der in allen Bundesländern häufig vorkommende Salzburg-Augentrost verrät sich vor allem durch seine Deckblätter: Statt unmittelbar aufeinanderfolgenden Zähnen, befindet sich zumindest zwischen dem 1. und 2. Zahn von oben eine auffallende „Lücke“ mit geradem Blattrand. Mehr als lückenhaft ist die pharmakologische und medizinische Erforschung dieser Art. (Foto: Vogt)

Die unwissentliche Wahl einer Pflanzenart kann im Falle einer Vielzahl von Gattungen zu entweder wirksamen, unwirksamen oder sogar toxikologisch bedenklichen Zubereitungen führen. Unsere Schafgarbe mit azulenfreien Sippen, das Johanniskraut mit hyperforinfreien Arten oder das Lungenkraut mit pyrrolizidinhaltigen Vertretern liefern eindrucksvolle Beispiele volksmedizinisch undifferenziert und unreflektiert genutzter Pflanzengattungen mit pharmakologisch erheblichen interspezifischen Unterschieden. Wie großzügig können wir nun Augentrost-Arten gegeneinander austauschen?

Wer oder was tröstet?

Die Suche nach der „heilkräftigsten“ Augentrostart bedarf neben einer genauen medizinischen Fragestellung Kenntnis über das heilwirksame Prinzip. Weder das eine noch das andere sind bisher für die Gattung ausreichend geklärt. Dennoch werden viele pharmakologische Eigenschaften der Aktivität von Iridoidglykosiden zugeschrieben, worunter Aucubin – ein durch Bindung an Zucker bedingt wasserlösliches Monoterpen – oft eine Schlüsselrolle eingeräumt wird.

Aus diesem Grund besitzt der Wiesen-Augentrost in der US-amerikanischen Phytotherapie zunehmenden Status einer potentiell leberschützenden Arzneipflanze, nachdem Aucubin die Biotransformation von Stoffen durch Wirkung auf Phase-1-Enzyme beeinflusst und so vor bestimmten Giften, wie beispielsweise den Amatoxinen des Knollenblätterpilzes, im Tierexperiment zu schützen vermag. Eine der bedeutsamsten TCM-Drogen zur „Klärung von Leberhitze“ sind die Früchte des Glanzjasmins, welche mit Ixorosid, Geniposid oder Geniposidsäure auffallende Übereinstimmung mit dem Iridoidmuster von Augentrostkraut besitzen. Auch für den Glanz-Jasmin wurde im Tierversuch eine signifikante hepatoprotektive Wirkung ermittelt. Zudem wurde für Aucubigenin, einem im Darm durch mikrobielle Aktivität aus Aucubin hervorgehenden Abbauprodukt, experimentell eine erhebliche antivirale Aktivität gegen das Hepatitis-B-Virus nachgewiesen. Müssen wir unseren Augentrost am Ende zu einem „Lebertrost“ umpflanzen?

Abb. oben: Reduziert man das Wesen des Augentrostes alleine auf die Wirkung von Aucubin, so können man auch gleich einen Klappertopf, wie z.B. den Grannen-Klappertopf im Bild, verwenden. Es sind aber die vielen Begleittöne, welche die Symphonie einer pflanzlichen Arznei bestimmen. (Foto: Vogt)

Man kann die Wesenseigenschaften des Augentrostes aber nicht alleine durch einen isolierten Inhaltsstoff erklären, sonst könnten wir ihn durch vergleichbare aucubinhaltige Pflanzen wie z.B. Wachtelweizen-, Ehrenpreis- oder Wegerich-Arten einfach ersetzen oder gleich zu synthetischem Aucubin greifen. Der Arznei würden dann allerdings siebzig der bisher nachgewiesenen Ätherisch-Öl-Bestandteile, vor allem aber das für Augentrostkraut typische Spektrum zahlreicher Phenolcarbonsäuren (Hydroxyzimtsäurederivate, Kaffesäureverbindungen, etc.), Tannine und Flavonoide fehlen.

Struwwelpeter gesucht!

Wenn man das zurückhaltende, in der Regel weit unter 0,25% betragende Ätherisch-Öl-Wesen der Gattung einfangen möchte, lohnt sich nach neuen histochemischen Untersuchen der Griff zu drüsig behaarten Sippen. Aber auch andere, aus heutiger Sicht wirksamkeitsmitbestimmende Stoffgruppen wie Flavonoide, Phenolsäuren oder Tannine konzentrieren sich besonders stark in den Köpfen von Drüsenhaaren. Ein Grund mehr, um den häufigen Gewöhnlichen Wiesenaugentrost zu verwenden und sensiblere Arten ohne Drüsenhaare, wie z.B. den Alpen-Augentrost oder den Kerner-Wiesenaugentrost, nur zu bewundern.

Das drüsige „Haarkleid“ des Gewöhnlichen Wiesen-Augentrosts lässt sich auch ohne Lupe gut gegen das Licht erkennen. In diesem konzentrieren sich nach jüngsten Erkenntnissen pharmakologisch relevante Schutz- und Abwehrstoffe der Pflanze. (Foto: Vogt)

In keiner der bisher untersuchten Augentrost-Sippen wurden außergewöhnliche Inhaltsstoffmuster oder exklusive Substanzen nachgewiesen, von denen eine stark abweichende pharmakologische Wirkung zu erwarten wäre. Es ist zwar bemerkenswert, wenn die für Brennnesseln charakteristischen und nachweislich entzündungshemmenden Caffeoylchinasäuren im Glanz- und Heide-Augentrost in rund 40-fach größerer Menge wie im Wiesen-Augentrost auftreten können, im Gegenzug ist aber die Konzentration an ebenfalls antiinflammatorischen Flavonoiden und anderen phenolischen Verbindungen bei letzterer Art statistisch signifikant erhöht.
Mit echten Sprachwundern oder Analphabeten ist alleine Grund der engen Verwandtschaftsverhältnisse beim Augentrost eher nicht zu rechnen. Am Ende bleibt der botanisch ausgesprochen kniffelige Augentrost mit seinem inneren Wesen ausgeglichen und öffnet sich großzügig einer um Artkenntnis unbekümmerten Volksheilkunde.

Trostvolle Bergwiesen

Zwischen dem Gehalt einer Reihe pharmakologisch wertbestimmender Inhaltsstoffe und ökologischen Standortsfaktoren gibt es beim Augentrost eine nachgewiesene Beziehung: Mit zunehmender Höhe, Einstrahlungsintensität, Bodentrockenheit und Stickstoffverarmung steigt die Drogenqualität. Sollte man deshalb am besten auf mageren Gebirgswiesen in den niederschlagsarmen Inneralpen, wie z.B. den Nockbergen oder dem Zillertaler Hauptkamm, sammeln? Auch das Vorhandensein von köpfigen Drüsenhaaren sollte die Drogenqualität steigern. Wegen der reaktionsfreudigen Iridoidglykoside nützt aber das beste Sammelgut wenig, wenn die Trocknung nicht rasch gelingt und die gewonnene Droge vor Luftfeuchtigkeit nicht gut geschützt aufbewahrt wird.

Vielversprechende Haare besitzt auch der Krain-Augentrost. Ihnen fehlt allerdings der entscheidende Drüsenkopf. Diese in steinigen Kalkgebirgsrasen und Kalkschuttfluren der Südalpen recht häufig verbreitete, sonst aber sehr selten vorkommende Art, sollte besser bestaunt als geerntet werden. (Foto: Vogt)

Der Weg zum Auge

Das erstaunliche Anwendungsspektrum von Burzeldornfrüchten oder Chrysanthemenblüten bei unterschiedlichsten Störungen am inneren und äußeren Auge in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) führt zur Frage nach der möglichen Existenz expliziter „Augenheilpflanzen“. Mit welchem Prinzip aber könnten solche das peripher gelegene und komplex strukturierte Sinnesorgan ausreichend zielgenau sowie vielschichtig erreichen? Da Blutversorgung und Stoffwechsel einen physiologischen Flaschenhals des Auges darstellen, wäre zunächst an mikrozirkulationsfördernde und gefäßwandschützende Pflanzen wie Rotwurzelsalbei oder Ginkgo zu denken. Für letzteren liegt mittlerweile auch klinische Wirksamkeit bei hämorheologisch-trophischen Störungen des Auges wie der gefürchteten diabetischer Retinopathie oder der senilen Makuladegeneration vor.
Es ist wohl auch kein Zufall, dass in bewährten TCM-Rezepturen gegen degenerative Augenleiden oft typische Muster von zirkulationsfördernden, die immunologischen sowie strömungsmechanischen Eigenschaften des Blutes beeinflussenden Drogen vorkommen.
Auch die Begleittherapie mit endothelschützenden und antioxidativen Flavonoiddrogen, wie z.B. Buchweizenkraut oder Heidelbeerfrüchten, könnte einem Universalprinzip für das Auge folgen, da oxidativer Stress an den Gefäßinnenwänden von Ader- und Netzhaut eine immunologische „Drehscheibe“ für entzündliche und degenerative Prozesse darstellt.
Von unserem Augentrost ist aber weder ein hämorheologisches noch herausragend antioxidatives Prinzip bekannt, um auf diesen Wegen am Auge zu wirken.

Abb. oben: Sollen wir Augentrost-Tee nur äußerlich für Kompressen, Waschungen und Augenbäder nutzen oder auch trinken? Die TCM beweist, dass hartnäckige oder funktionelle Störungen des Auges vor allem systemisch zu behandeln sind. Vielleicht sollten wir das Auge weniger isoliert, sondern mehr in den Organismus eingebunden betrachten. (Foto: Vogt)

Im Konzept der TCM „öffnet die Leber in die Augen“ und innere wie äußere Störungen des Lichtsinnesorgans werden als periphere Manifestation von „Leber-Hitze“, „Leber-Feuer“, „aufsteigendem Leber-Yang“ oder beispielsweise „Leber-Yin-Mangel“ verstanden. Dementsprechend entfalten auch die bedeutsamsten Augenarzneien der TCM wie beispielsweise Braunellenähren, Burzeldornfrüchte, Chrysanthemenblüten, Sommerfliederblüten oder Winterschachtelhalmkraut ihre primäre Wirkung über den Funktionskreis der Leber. Auch unser Augentrost ist nach jüngsten Erkenntnissen eine leberwirksame Arznei (s.o.) und bietet der westlichen Phytotherapie Reflexion über ein stärker integratives und systemisches Konzept von „Augenheilpflanzen“ an. Grund pharmakologischer Rückschlüsse, ethnomedizinischer Bewertung und Anlehnung an die TCM könnte unser Augentrost vielleicht eine zukünftige Rolle bei toxisch-metabolisch bedingten Augenstörungen einnehmen (siehe Rezeptteil).

Von der Leber lassen sich zahlreiche trophische, hämodynamische und immunologische Beziehungen zum Auge skizieren, deren klinische Relevanz für den Westen noch unklar ist. Auch die exklusive Fernwirkung der Milz zur Aufrechterhaltung eines immunologischen „Bremssystems“ im vorderen Augenabschnitt, welche das sogenannte „Vorderkammer-Privileg“ des Auges mitbegründet, wurde erst vor wenigen Jahren eher zufällig entdeckt und lädt zu einer zukünftig mehr systemischen Betrachtung und Therapie des Auges ein. In der Zwischenzeit wurde bei über 30 Systemerkrankungen eine primäre Augensymptomatik beschrieben. Wie bei den degenerativen Augenerkrankungen dürften auch hier die Innenwände der Augengefäße einen ersten Angriffspunkt für tiefer gelegene Störungen darstellen. Mit einer stärkeren Öffnung für TCM-Drogen würde die heute an „Augenheilpflanzen“ verarmte westliche Phytotherapie eine Reihe vielversprechender Vasoprotektiva und Phytorheologika dazugewinnen. 

Trost für die Bindehaut

Wie läßt sich die durchaus gute Erfahrung von äußeren Augentrostanwendungen bei nicht-infektiösen und allergischen Entzündungen der Augenbindehaut – und zwar in niedrigsten Konzentrationen – erklären? Die Gesamtschau experimenteller Arbeiten kann dem Augentrost nun weder eine herausragend antiinflammatorische, antioxidative oder immunsuppressive Wirkung als Erklärung bescheinigen. Auch eine stabilisierende Wirkung auf Mastzellen, die bei Typ-1-Allergien wie der allergischen Konjunktivitis eine Schlüsselrolle einnehmen, ist nicht bekannt. Ein Widerspruch? Oder handelt es sich hier um vorwiegend banale, mit oder ohne Augentrostanwendung selbst limitierende Entzündungen der Bindehaut?

Auch die vielfach harmlosen, aber mitunter langwierigen und subjektiv sehr belastend erlebten Störungen am äußeren Auge müssen in einer die Befindlichkeit des Menschen achtenden Medizin ernst genommen werden. Gerade beim nicht-infektiösen Reizzustand mit Tränenfluss, der keine Antibiose oder antivirale Therapie erfordert und Tränenersatzmittel nur begrenzt sinnvoll sind, bleibt der modernen Ophthalmologie oft nur der Weg zu nebenwirkungsbehafteten H1-Antihistaminika oder zeitlich unbefriedigend wirkungsentfaltenden Mastzellenstabilisatoren. Von einer oft behaupteten Verzichtbarkeit auf (pflanzliche) Alternativen kann also keine Rede sein.

Abb. oben: Indikationen für Augentrostkraut nach Erfahrung und Forschung. Die Vorzeichen geben die traditionelle Bedeutung für das Anwendungsgebiet an. (Graphik: Vogt)

Vor vielen Jahren vertraute sich mir ein energischer Kritiker der pflanzengestützten Alternativmedizin und späterer Professor für Pharmakologie nahezu entschuldigend an, dass bei ihm eine anthroposophische Augentrost-Zubereitung aus unerklärbaren Gründen am besten gegen banale, aber lästige Bindehautentzündungen helfen würde. Mit derselben Zubereitung, einer 1:10-Verdünnung einer 1:10-Urtinktur, wurde im Jahr 2000 in zwölf Arztpraxen eine einarmige Beobachtungsstudie bei unspezifischen Bindehautentzündungen durchgeführt, wobei mit einer Dosierung von nur einem Tropfen 1-5 Mal täglich bei 81% der 65 Teilnehmer eine komplette Remission und bei 17% eine deutliche Besserung erzielt wurde. Alles nur Plazebo?

Wir haben heute vielfach das Vertrauen in phytochemisch „unauffällige“, pharmakologisch „sanfte“ und durch klinische Studien unzureichend emporgehobene Pflanzen verloren. Der Irrglaube, dass die Stärke einer Arzneipflanze mittel eindimensionaler Messsysteme (Antibiogramme, Plaque-Assays, Oxidationstests, etc.) ohne Verständnis der besonderen physiologischen Anforderungen am Wirkort berechenbar wäre, hat zur Verarmung von Heilpflanzen in der westlichen Phytotherapie beigetragen.
Im Falle des Augentrostes liegt das heilsame Prinzip wahrscheinlich gerade in der vielseitig gemäßigten, in keiner Richtung exzessiven und balanciert immunmodulierenden Wirkung auf das Auge verborgen. Eine zu stark „bremsende“ Wirkung auf Immunzellen des Bindehautsackes könnte die antimikrobielle Barrierefunktion der Augenschleimhaut gefährden, eine übermäßige antioxidative Aktivität zu prooxidativen Metaboliten führen und damit die ohnehin hohe Allergiebereitschaft von Lidrand und Konjunktiva triggern. Nach neuesten Erkenntnissen zur Immunologie des Auges können auch zu starke antibakterielle Eigenschaften einer Arznei nachteilig werden, denn das Vorhandensein eines fluktuierenden Bakterien-Pools gewährleistet ein dauerhaftes immunologisches „Training“ und schütz in Folge vor Pilzinfektionen.

In Hinblick auf die steigende Inzidenz allergischer Augenerkrankungen besteht ein Bedarf an „sanften“, sich in die spezielle Immunologie des Auges integrierende Arzneien, wozu der Augentrost eine gute Vorlage bildet. Wir sollten eine der letzten verbliebenen Augenarzneien der westlichen Erfahrungsheilkunde jedenfalls nicht durch mangelndes systemisches Verständnis und überzogene Hygienesorge aus den Augen verlieren!

Trostvolle Aussicht wünscht Euer Phytagoras!

Neue trostvolle Anwendungen

Begleitee bei akuter Hepatits B
R.p.auf 100
Besen-Beifußkraut (Artemisiae scopariae herb.)40
Baikal-Helmkrautwurzel (Scutellariae baical. rad.)20
Süßholz-Wurzel (Liquiritiae rad.)20
Wiesen-Augentrostkraut (Euphrasiae herb.)20
M.f.spec.D.S.: 25g zerkleinerte Drogenmischung in 2-3 Tassen Wasser zum Kochen bringen, 10 Min. am Sieden halten, in Kanne abseihen, über den Tag verteilt in kleinen Schlucken einnehmen. (Rezept: Vogt D. i.A. Chen J.K.)
Begleittee bei Sinusitis
R.p.Tagesdosis
Sibirische Engelwurz (Angelicae dahuricae rad.)3g
Gelb-Enzianwurzel (Gentianae rad.)1,5g
Schlüsselblumenblüten (Primulae flos c. calyce)1,5g
Wiesen-Augentrostkraut (Euphrasiae herb.)5g
Süßholz-Wurzel (Liquiritiae rad.)4g
M.f.spec.D.S.: Zerkleinerte Wurzeldrogen in 3 Tassen Wasser zum Kochen bringen, 10 Min. am Sieden halten, Augentrost und Schlüsselblume hinzufügen, 15 Minuten bedeckt ziehen lassen, in Thermoskanne abseihen, über den Tag verteilt in kleinen Schlucken einnehmen. (Rezept: Vogt D. i. A. TCM u. TEM)
Lösung zur äußeren Anwendung bei allergischen Konjunktividen mit Tränenfluss
R.p. 
Wiesen-Augentrostkrauturtinktur (1:5, 50 Vol.%)10 Tr.  
Siedendes, 5 Min. lg. gekochtes Aqua purificata100ml
Kochsalz0,9g
M.f.liqu.D.S.: Gereinigtes Wasser mit Salz für 5 Min. am Sieden halten und Urtinktur eintropfen. Ohne Deckel abkühlen lassen, damit Ethanol entweichen kann. In sterile Augenbadwanne (oder vergleichbarem Gefäß) einfüllen und für 1-minutiges Augenbad nutzen. Augenbadlösung stets frisch zubereiten, für jedes Auge getrennt anwenden und nach Verwendung verwerfen. (i. A. Mills S. 2013, mod. Vogt D.)
Begleittee bei leberassoziierten Störungen am inneren und äußeren Auge

Indikationen: Gerötetes, schmerzhaftes, geschwollenes, trockenes oder tränendes Auge bei toxisch-metabolischen oder infektiösen Hepatopathien. Augenleiden durch aufsteigendes Leber-Yang, Hitze-Wind bzw. pittagenen Zuständen.

R.p.Tagesdosis
Chrysanthemenblüten (Chrysanthemi morifolii flos)8
Klein-Braunellenblütenstände (Prunellae vulg. spicae)8
Wiesen-Augentrostkraut (Euphrasiae herb.)5
Süßholz-Wurzel (Liquiritiae rad.)5
M.f.spec.D.S.: Braunelle und Süßholz in 2 Tassen Wasser zum Kochen bringen, 10 Min. am Sieden halten, Augentrost und Chrysantheme beimengen, kurz mitkochen, 5 Min. bedeckt ziehen lassen und in Kanne abseihen. Nach den Mahlzeiten (Rezept: i. A. Chen, mod. Vogt D.)