Basislehrgang Phytotherapie

Verantwortungsvolle Heilpflanzenkunde durch Hintergrundwissen

Referent: Mag. Dietmar Vogt

Kurzbeschreibung

Der 110 Unterrichtseinheiten umfassende Basislehrgang Phytotherapie vermittelt in sieben nach Organsystemen eingeteilten Modulen die Basis für einen verantwortungsvollen, zeitgemäßen und differenzierten Umgang mit Arzneipflanzen. In einem Einführungsmodulen werden zuvor die Grundlagen der rationalen Phytotherapie (Sekundäre Inhaltsstoffe, Magistrale Rezeptur, Dosierung, traditionelle Konzepte, etc.) erarbeitet. 

Im Kursmittelpunkt steht das Verständnis für die Einflussnahme von Arzneipflanzen auf Vorgänge im menschlichen Körper, weshalb Drogenauswahlwahl und Rezeptur für die pflanzliche Begleittherapie nachvollziehbar und begründbar werden. Zum Erreichen dieses Zieles werden zu Beginn der Module erforderliche humanbiologische und medizinische Grundlagen auf verständlichem Niveau vermittelt.

Die Abgrenzung zu üblichen „Kräuterkursen“ besteht im erforderlichen Einbezug medizinisch-ethnopharmakologischer Aspekte sowie in der interdisziplinären Betrachtung anderer Medizintraditionen, um die Heilpflanze für eine differenzierte, individualisierte und wissenschaftlich plausible Phytotherapie zu öffnen. Aus diesem Grund werden auch Fragen zu Dosierung, Nebenwirkungen und Kontraindikationen gebührend beleuchtet. Darüber hinaus fließen fortlaufend neue wissenschaftliche Erkenntnisse in den Kurs ein, um traditionell gewachsene Konzepte besser verstehen und adaptieren zu können. Dadurch wird der Teilnehmer zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit ethnobotanischem Wissensgut hingeführt und zur Evaluierung historischer Rezepte befähigt. Die gemeinsame Übungsmöglichkeit zum freien Rezeptieren an Hand von Fallbeispielen stellt ebenfalls ein besonderes Kursangebot dar. 

Am Ende vermögen wir dem Wunder „Pflanze“ nicht das letzte Geheimnis seiner Wirkung zu entreißen, gewinnen aber die Voraussetzung für ein tieferes Verständnis und die Basis für eine integrative und verantwortungsvolle Phytopraxis.

Abb. oben: Für den Alchemisten Nicholas Culpeper (17. Jhd.) das beste Kraut gegen „Zittern des Herzens“. Wie sollen wir diese interessante Überlieferung für das Herzgespann deuten und bewerten? Eine aktuelle Studie bestätigt die antiarrhyhtmische Wirkung eines Herzgespann-Extraktes durch verschiedenseitige Einflussnahme auf elektrochemische Vorgänge am Myokard. Sollen wir uns vor den Alkaloiden der Pflanze „fürchten“ und sie weiterhin nur als „Zierpflanze“ im Bauerngarten bewundern oder folgen wir der HMPC-Monographie, die eine traditionelle Verwendung bei nervösen Herzbeschwerden mit Palpitationen akzeptiert? Für welche Menschen passt Herzgespann besonders gut und wie lauten Dosierungsempfehlung und Gegenanzeigen? (Foto: Vogt)

Kursaufbau

ModulInhalteDatum
1Grundlagen der allopathischen Phytotherapie: Die Pflanze als Vielstoffsystem (Sekundäre Inhaltsstoffe – “Phytamine”), Einführung in die magistrale Rezeptur, Interdisziplinäre Heilpflanzenkunde am Beispiel Taraxacum, Quellen für die moderne Phytopraxis Sept. 2023
2Funktionskreise Niere und Blase in der Phytopraxis (Aquaretika, Desinfizienzien, Antidyskratika, gonadotrope Pflanzen)Okt. 2023
3Funktionskreis Leber in der Phytopraxis (Amara, Antifibrotika, Cholagoga, Hepatoprotektiva) Nov. 2023
4Funktionskreise Magen, Dünndarm u. Dickdarm in der Phytopraxis (Amara, Mukosaprotektiva, Karminativa, Laxantien, Sekretomotorika, Ulkusprotektiva)Dez. 2023
5“Herzliche Pflanzen”: Das Herz-Kreislaufsystem in der Phytopraxis (Kardiaka, Rheologika und Vasoprotektiva)Feb. 2024
6“Haut liebt Kraut”: Die Haut in der Phytopraxis (Dermatika, Antidyskratika II)Mär. 2024
7“Geistreiche Pflanzen”: Nervensystem und Psyche in der Phytopraxis (Adaptogena, Analgetika, Nervina)Apr. 2024
8Immunsystem in der Phytopraxis (Immunmodulatoren), Atemwege in der Phytopraxis (Antibiotika, Diaphoretika, Expektorantien, Muzilaginosa, Sekretolytika, Spasmolytika)Mai. 2024

Über den Geist der Kurses

"Die Phytotherapie benötigt wieder Nähe zur ihren Pflanze."

Zu keiner Zeit der angewandten Heilpflanzenkunde war die Distanz zwischen Pflanze und Mensch größer als heute. Fertigpräparate, Fixkombinationen und zunehmend auch Nahrungsergänzungsmittel haben die individuelle, magistrale Rezeptur in der Phytopraxis weitgehend ersetzt. Die Phytotherapie läuft aktuell Gefahr eine ihrer größten Stärken zu verlieren: Die dem einzelnen Menschen gerecht werdende Individualisierung durch freie Drogenwahl und Kombination im Sinne einer personalisierten Medizin.

Nur gute Kenntnisse über Indikationen, pharmakologische Wirkprinzipien und „wesensspezifische Besonderheiten“ von Pflanzen können zur ursprünglichen Idee der Phytotherapie zurückführen. Im Lehrgang werden vorrangig monographierte, aber auch vielversprechende Pflanzen der Erfahrungsheilkunde und der aktuellen Forschung mit der notwendigen Tiefe vorgestellt, um in einem bestimmten Indikationsgebiet zu einer differenzierten und zielgerechten Drogenwahl zu gelangen.

Für die äußere Anwendung bei seborrhoischen Hautbeschwerden ist Stiefmütterchenkraut gut bekannt und auch monographiert. Derzeit erforscht man weitere medizinische Anwendungsmöglichkeiten für die stark antiinflammatorische und erst seit wenigen Jahrzehnten bekannte Stoffgruppe der Cyclotide. Aktuell existieren in ganz Europa keine echten Monopräparate für das Veilchengewächs und der Markt wird von homöopathischen Komplexmitteln beherrscht. Überlassen wir die Pflanze der pharmazeutischen Industrie oder nutzen wir das „Veilchen-Prinzip“ in der systemischen Phytodermatologie?

„Den Vielklang der Pflanze besser hören lernen.“

Mit dem gegenwärtigen Trend von Ausschluss, Isolierung und Konzentrierung sekundärer Inhaltsstoffe entfernen wir uns zunehmend vom natürlichen Vielstoffsystem der Pflanze und verzichten damit auf ihre vielschichtige, oft mehrere Ziele über unterschiedliche Wege erreichende Wirkung. Vielfach begründen gerade Synergien und Antagonismen im pflanzlichen Vielstoffsystem die gute Verträglichkeit und Nebenwirkungsarmut. Die Phytotherapie sollte wieder vermehrt auf die Multi-Target-Wirkung von Pflanzen aufbauen und zum Einfachen zurückfinden. Je besser wir einzelne Pflanzen bzw. ihre Drogen verstehen, desto differenzierter und „feiner“ kann die Phytopraxis auf die Erfordernisse einer Störung erfolgen.

Im Kurs werden für bestimmte Organsysteme bzw. Funktionskreise besonders bedeutungsvolle Pflanzen bzw. ihre Drogen entsprechend ausführlich vorgestellt, während weitere, demselben Indikationsgebiet zugehörige Pflanzen in den wichtigsten Eigenschaften übersichtsartig präsentiert werden. Die Kursteilnehmer erkennen, dass auch einzelne Pflanzenteile eine „vollwertige“ Arznei darstellen können und sich wirksame Rezepturen auf wenige Hauptdrogen beschränken. Im Praxisteil werden historische und moderne Rezepturen kritisch gegenübergestellt und in Abhängigkeit von Indikationen und therapeutischen Feinzielen evaluiert. An Hand von Fallbeispielen werden gemeinsam Rezepturen entwickelt.  

Abb. oben: Mehr als nur Glycyrrhinsäure! Für Süßholzwurzel sind aktuell 9 pharmakologische Effekte beschrieben, welche die „leberschützende“ Gesamtwirkung von mindestens 60 wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen erklären. Ein Musterfall eines Vielstoffsystems mit „Multi-Target-Wirkung“. Während Süßholz in Asien seit drei Jahrzehnten bei Leberintoxikationen erfolgreich zum Einsatz gelangt, hat Europa noch Korrekturbedarf für die bestehende Monographie.

„Verantwortungsvolle Begegnung mit der Heilpflanze."

Zunehmend mehr Menschen erlangen in diversen „Kräuterausbildungen“ neben botanischen Kenntnissen auch galenische Fertigkeiten zur Herstellung pflanzlicher Darreichungen und werden zur Verwendung potenter Arzneipflanzen ermutigt. Bald ist ein Heilpflanzengarten angelegt oder man hat sich in die umliegenden Flora eingearbeitet. Doch wie geht es weiter?

Viele Absolventen erkennen trotz Zertifikaten und Zeugnissen, dass eine verantwortungsvolle und zielgerechte Verwendung von Pflanzen weitaus mehr Hintergrundwissen erfordert, als die meist auf Artkenntnis, Volksheilkunde oder Medizingeschichte fokussierten Ausbildungen in Österreich erschließen, obwohl letztendlich fast immer zur Heilpflanzennutzung hingeführt wird.

Abb. oben: Ist diese Lieblingspflanze der Volksheilkunde in allen Fällen harmlos? Vermögen bereits einige Tassen Johanniskraut-Infus einen leicht antidepressiven Effekt zu vermitteln und worauf ist zu achten?

Das meist fehlende Verständnis für Zusammenhänge zwischen Vorgängen im menschlichen Körper und Wirkprinzipien von Pflanzen verwehrt eine differenzierte Auswahl für eine zielgerichtete Heilpflanzenpraxis.

Hinzu kommt die im Regelfall zu kurz gehaltene oder nicht dem aktuellen Wissensstand entsprechende Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen, Gegenanzeigen und Interaktionen, obwohl sie Bestandteil einer ganzheitlichen Pflanzenbetrachtung und untrennbarer Teil einer verantwortungsvollen Heilpflanzenkunde darstellt.

Am Ende vermag der Kräuterkundige oft nicht zwischen unbedenklich sinnvollen, unbedenklich zielverfehlten und potentiell gefährlichen Empfehlungen und Rezepturen zu unterscheiden, die heute in einer unüberschaubar gewordenen Menge in Laienliteratur, Zeitschriften und Internetauftritten kursieren.   

In den letzten Jahren haben Interesse und Angebot für die häusliche Herstellung pflanzlicher Zubereitungen massiv zugenommen und auch die dafür notwendigen botanischen Grundlagen werden in immer mehr Kursen erarbeitet. Die logische und notwendige Fortsetzung ist nun das Erlangen des notwendigen Hintergrundwissens, um Pflanze und Mensch sicher, sinnvoll und zeitgemäß begegnen zu lassen.

Abb. oben: Um die große „Wundheilpflanze“ des Mittelalters ist es still geworden. Dabei wurde das Kraut als expektorierende Droge mit rund 10% Saponinen positiv monographiert. Gibt es für den Sanikel noch eine andere Zukunft in der modernen Phytopraxis? In einigen Rezeptbüchern des 20. Jhd. findet man Anwendungsmöglichkeiten, die nur bei Kenntnis pharmakologischer Wirkprinzipien plausibel werden. Für die Bewertung alter und „modischer“ Rezepte bedarf es an Hintergrundwissen.

Zielgruppe

Der Kurs richtet sich an zwei Seiten von an Heilpflanzenkunde interessierten Personen: An ÄrztInnen und TherapeutInnen mit dem Wunsch und der Berechtigung zur Implementierung der Phytotherapie in ihrer Arbeit sowie an Menschen, die über den Weg von Botanik und Volksheilkunde zur „Heilpflanze“ gefunden haben und das Wissen für sich selber nutzen möchten. In den zweiten Personenkreis fallen z.B. KräuterexpertInnen, KräuterpädagogInnen oder pharm.-technische AssistentInnen. Dialog und Interaktion dieser beider Seiten ist ebenfalls ein Veranstaltungsziel, da Botanik, Erfahrungsheilkunde und Medizin wieder stärker zueinander finden sollten.

Praxis

Der Praxisteil besteht in der Evaluierung und Korrektur historischer und rezenter Rezepturen sowie in der gemeinsamen Entwicklung von magistralen Rezepturen zu ausgewählten Fallbeispielen. Die Teilnehmer*Innen sollen durch rationale Pflanzenwahl und klare medizinische Zielsetzung die Scheu vor dem freien Rezeptieren ablegen. Dabei steht Unbedenklichkeit sowie die Erörterung von Nebenwirkungen und Gegenanzeigen stets im Mittelpunkt der Überlegungen. Darüber hinaus werden einfache Dosis- und Wirkstoff-Berechnungen wiederholt eingebunden. (Auf die zeitaufwändige Herstellung von pflanzlichen Darreichungen wird im Kurs zu Gunsten von Fallbeispielen und Rezeptentwicklung verzichtet, da diese in fast allen Ausbildungen fehlen.)

Rechtslage

Aus der Kursteilnahme ergibt sich keine Berufsberechtigung zur gewerblichen Praktizierung der Phytotherapie.