Update zum Schachtelhalm in der Heilpflanzenkunde

Abb. oben: Wenn der Sumpf-Schachtelhalm seinen „Kopf“ zeigt, fällt die Unterscheidung leicht, denn beim Acker-Schachtelhalm trägt der grüne Trieb nie eine Sporangienähre. (Foto: Vogt)

„Lebendes Fossil“ vor der Haustüre

Statt einen computeranimierten Tyranosaurus im Horrorfilm „Jurassic Park“ vorzuführen, hätte sich Steven Spielberg besser mit wirklich überlebenden „Urgestalten“ aus dem Erdaltertum befassen sollen: Gegen die bereits vor 380 Millionen Jahren sprossenden Schachtelhalme sind die fossilen Dinos bestenfalls „junge Hupfer“. Die Chance einem echt alkaloidhaltigen Sumpf-Schachtelhalm vor die Füße zu laufen steht jedenfalls gut, wenn die Suche nach dem Acker-Schachtelhalm in nasse Wiesen, Ufer- und Niedermoorbereiche führt. Rund 10 Jahre nach der Isolierung des Alkaloids „Palustrin“ durch E. Glet und J. Gutschmidt (1937) schreibt der bekannte Apothekendirektor Ludwig Kröber, dass man „die Sammlung von Schachtelhalm zu medizinischem Zweck niemals in sumpfigen Gelände vornehmen darf!“. Wie gefährlich ist der 5-8-zähnige Sumpf-Schachtelhalm nun wirklich und ist der Acker-Schachtelhalm so zahm, wie alle glauben?

Auf die Zähne kommt es an

Wie bei den Dinos besitzen Schachtelhalme echte Zähne mit taxonomischer Bedeutung – zumindest aus botanischer Sicht. Sie bilden den oberen Abschluss der sog. Stängelscheide und werden demnach korrekt als Stängelscheidenzähne bezeichnet. Wer aber mag schon langverschachtelte Wörter? In jedem Fall sind Anzahl, Länge, Form und Farbe dieser Zähne in Kombination mit weiteren Merkmalen für die Bestimmung von großer Bedeutung. Der von nordamerikanischen Indianern am vielseitigsten und am häufigsten verwendete Winter-Schachtelhalm (Equisetum hyemale) besitzt typische „Zahnlücken“, denn seine schwarzen Zähne fallen früh ab, so dass ein schwarzer, stumpf-gekerbter Rand zurückbleibt.

Der ebenfalls heimische Riesen-Schachtelhalm (E. telmateia) zählt zu den „Bisskräftigsten“: Seine Scheiden tragen 20-30 Zähne, die in eine pfriemliche, 4-6 mm lange Spitze auslaufen. Die Yuki- und Thompson-Indianer nutzen diesen am elfenbeinfärbigen Stängel leicht zu erkennenden „Giant Horsetail“ bei Harnwegsinfekten , während er den Saanich als „Blutreinigungsmittel“ dient. Die Indikationsgebiete erinnern sofort an die Nutzung des Acker-Schachtelhalms (E. arvense) in der alpenländischen Volksheilkunde. Man erkennt letzteren an den 8-12 dunkelbraunen Zähnen, die entweder frei stehen oder zu zweit oder zu dritt verwachsen sein können.

Merkhilfe

Wenn man die Stängelscheide als Schafthöhe eines Schuhs und das erste Glied als Bodenniveau betrachtet, ergibt sich folgende Merkhilfe: Wenn der Bauer in die versumpftet Wiese (> Sumpf-Schachtelhalm) geht, zieht er sich hohe Stiefel (= hohe Stängelscheide) an. Wenn der Bauer in den trockenen Acker (> Acker-Schachtelhalm), reicht auch niedriges Schuhwerk (= kurze Stängelscheide).

Abb. oben: Nach dem Winter schaut der Winter-Schachtelhalm etwas mitgenommen aus und zeigt sich zahnlos. (Foto: Vogt)
Abb. oben: Der Riesen-Schachtelhalm ist am weißlich-elfenbeinfarbenen Stängel und den 4-6 mm langen „Zahnspitzen“ leicht zu erkennen. (Foto: Vogt)
Abb. oben: Beim Acker-Schachtelhalm (1) ist das unterste Glied des Seitenastes länger als die Stängelscheide, beim Sumpf-Schachtelhalm (2) deutlich kürzer. (Foto: Vogt)

Der Sumpf-Schachtelhalm besitzt im Regelfall meist nur 5-8 dunkle, schmal dreieckige Zähne mit einem (weißlich)-häutigen Rand. Wer keine Zähne unter die Lupe nehmen will, kann Acker- und Sumpfschachtelhalm an Hand der Längenverhältnisse zwischen dem ersten „Glied“ der unteren Seitenäste und Länge der zugehörigen Stängelscheide unterscheiden. Dazu zieht man die Sprossachse etwa im unteren Drittel so auseinander, dass nach dem Zerreißen ein „Krönchen“ durch die verbleibende Stängelscheide entsteht. Nun entfernt man die Seitenäste dieses Knotens und lässt jeweils nur das unterste Glied (Internodium) stehen: Beim erhofften Acker-Schachtelhalm sind die untersten Glieder länger oder nur wenig kürzer als die Stängelscheide. Beim Sumpf-Schachtelhalm sind die untersten Glieder stets deutlich kürzer.

Angst vor dem Taumeln?

Nach wie vor wird die Giftigkeit des Duwocks, wie der Sumpfschachtelhalm in alten Büchern auch heißt, durch bizarre Schauergeschichten und fleißige Abschreibarbeiten in der Fachliteratur unverhältnismäßig „hochgeschachtelt“. Betrachtet man die bisherige Datenlage genau und betreibt keine Spekulationspharmakologie, so ist der Sumpf-Schachtelhalm für den Menschen um keine Halmbreite giftiger als der Acker-Schachtelhalm. Um eine Humanintoxikation mit Sumpfschachtelhalm zu entdecken, müsste man sich an Steven Spielberg wenden, denn alle bisher seriös dokumentierten Vergiftungen stammen ausschließlich aus dem veterinärmedizinischen Bereich.

Abb. oben: Der meist 5-8-zähnige Duwock besitzt nur selten einen über 4mm dicken Stängel am Grund. Seine Zähne haben einen gut sichtbaren Hautrand. (Foto: Vogt)

Pferde scheinen diesbezüglich besonders empfindlich zu reagieren. Die an ihnen beschriebene „Taumelkrankheit“ mit Koordinationsstörungen, taumelnden Gang, Erregbarkeit und Zuckungen der Gesichtsmuskulatur wird heute aber allen Schachtelhalm-Arten zugeschrieben – insbesondere Acker- (!), Riesen- und Sumpf-Schachtelhalm – und geht auf das Konto eines „Vitamin-B1-Antifaktors“. Dieses unliebsame „Schachtelhalm-Heinzelmännchen“ wurde Grund seiner Vitamin B1 (=Thiamin) zerstörenden Aktivität passend als Thiaminase getauft und führt zu den o.a. neuromuskulären Störungen. Fast alle Lehrbücher für Phytotherapie vergessen auf diesen für die sichere Zubereitung relevanten Sachverhalt hinzuweisen und schüren lieber die Angst vor dem „bösen“ Duwock.

Abb. oben: Wer noch ein Merkmal für den Acker-Schachtelhalm benötigt, kann mit der Lupe die 3-5 pfriemlichen Zähne der Astscheiden suchen. (Abb. Vogt)

Auch die WHO müsste in ihrer 4-stufigen Toxizitätsliste korrekterweise nicht nur den Sumpf-Schachtelhalm, sondern den in der traditionell europäischen Medizin bedeutsamen Acker-Schachtelhalm in der 3. Gruppe führen. Übrigens: Wer aus Angst vor ein paar Halmen Sumpf-Schachtelhalm den Ausweg in der Apotheke sucht, kauft im Regelfall immer verunreinigte Droge aus Osteuropa und China ein: Erst oberhalb von 5% Anteil „unerlaubter“ Equisetum-Arten spricht das im Eu. Arzneibuch vorgeschlagene DC-Analyseverfahren überhaupt an. Wie hoch wird wohl der Verunreinigungsgrad der Droge bei rein mikroskopischer Stichprobenanalyse liegen?

Verkieselte Schachtel mit hitzeempfindlichem Heinzelmännchen

In älteren Monographien stolpert man manchmal über die Empfehlung den Vitamin B1-Spiegel bei kurmäßiger Anwendung von Schachtelhalmkraut zu kontrollieren. Diese Vorsichtsmaßnahme wird einem alten Irrglauben gerecht, man könne mit einem Kaltwasserauszug die 5-8% Kieselsäure im Schachtelhalmkraut besonders schonend herauslösen und würde sie umgekehrt durch Erhitzen zerstören. Tatsächlich entsteht die für den Menschen bioverfügbare Orthokieselsäure (Si[OH]4) erst in einer Gleichgewichtsreaktion nach Herauslösen der zellwandassoziierten, amorphen Polykieselsäuren. Mittlerweile kennt man verschiedene „Kieselsäuredepots“ in der Pflanze, die von dünnen „Silizium-Tapeten“ zu Mikro- und Nanopartikel-„Lager“ reichen.

Weder die wirksamkeitsbestimmenden Schachtelhalm-Flavonolglykoside und schon gar nicht die „gebundene Kieselsäure“ sind nun gut kaltwasserlöslich. Allerdings besitzen Kaltauszüge offenbar ausreichend Thiaminase-Aktivität, um bei Langzeitanwendung den Vitamin B1-Pool zu senken. Bekannt wurde ein gut dokumentierter Fall einer schwangeren Frau, die bei kurmäßiger Einnahme eines Schachtelhalmpräparats mit täglich 1200mg einen Vitamin B1 -Mangel entwickelte, obwohl sie der empfohlenen Supplementierung für Schwangere von täglich 1,2 mg Vitamin B1 nachkam.

Abb. oben: Mit der Zielsetzung das Bindegewebe zu Entlasten ist die Heißwasseranwendung mit Sicherheit die sinnvollste Zubereitung von Ackerschachtelhalmkraut. (Foto: Vogt)

Mit der Anwendung als Infus oder Abkochung gewinnt man nicht nur mehr heißwasserlösliche Inhaltsstoffe, sondern verliert auch nebenbei das unliebsame und glücklicherweise thermolabile „Heinzelmännchen“. Viele Autoren empfehlen eine 5-minütige Abkochung und lassen das Dekokt für weitere 10-15 Minuten ziehen. Die Frage ob ein Aufguss oder eine längere Abkochung „besser“ ist, sollte sich nach dem Therapieziel und dem gewünschten Verhältnis zwischen phenolischen und mineralischen Inhaltsstoffen richten.

Sumpfschachtelhalm falsch verschachtelt

Der Duwock ist ein Musterbeispiel für die unkritische „Verschachtelung“ zwischen nachgewiesenen Inhaltsstoffen und vermeintlicher Toxizität, denn über Jahrzehnte galt von Buch zu Buch das Piperidin-Alkaloid „Palustrin“ als Ursache der Taumelkrankheit. Heute kennt man im Duwock mindestens sechs verschiedene Abkömmlinge des Piperidins mit stark schwankenden Konzentrationen, aber über ihre pharmakologische (Un-)Wirksamkeit für den Menschen herrscht bislang Unklarheit. Während bisherige, tierexperimentelle Studien ein akutes Vergiftungspotential für den Menschen ausschließen, nutzen die Ojibwa-Indianer die Pflanze gezielt als Mittel bei Magen-Darm-Beschwerden mit mild laxativer Wirkung.

Weder die wirksamkeitsbestimmenden Schachtelhalm-Flavonolglykoside und schon gar nicht die „gebundene Kieselsäure“ sind nun gut kaltwasserlöslich. Allerdings besitzen Kaltauszüge offenbar ausreichend Thiaminase-Aktivität, um bei Langzeitanwendung den Vitamin B1-Pool zu senken. Bekannt wurde ein gut dokumentierter Fall einer schwangeren Frau, die bei kurmäßiger Einnahme eines Schachtelhalmpräparats mit täglich 1200mg einen Vitamin B1 -Mangel entwickelte, obwohl sie der empfohlenen Supplementierung für Schwangere von täglich 1,2 mg Vitamin B1 nachkam. Auch in der türkischen Volksheilkunde werden die oberirdischen Teile des Duwocks traditionell gegen Gastritis verwendet, wobei eine magenschleimhautschützende Wirkung durch das Vorhandensein spezieller Flavonole experimentell bestätigt wurde (Yesilada E, Gurbuz I, 2010). Kein achtsamer Phytotherapeut wird deshalb Kamille und Süßholz gegen Sumpf-Schachtelhalmkraut austauschen, aber man darf die „Schachtel“ mit dem Sumpf-Schachtelhalm schon ein wenig weitsichtiger öffnen.

Abb. oben: Sporangienähre des Sumpf-Schachtelhalms. (Foto: Vogt D.)

Kieselsäurewesen Mensch

Wenn man „Schachtelhalm“ sagt, rufen alle gleich „Kieselsäure“. Zu den oft vergessenen „Kieselsäurepflanzen“ mit über 1% Kieselsäure zählen aber auch Vogelknöterich, Sandsegge, Brennnessel, Gelber Hohlzahn, Saat-Hafer und Lungenkraut. Wie beim Schachtelhalm liegt ihre Kieselsäure aber nicht frei, sondern amorph in Form vernetzter Polykieselsäuren vor. Nur ein geringer Prozentsatz dieser Fraktion geht als Ortho-Kieselsäure in Lösung und wird somit bioverfügbar. Auch ohne das Vorhandensein spezieller Resorptions- oder Transportsysteme im Menschen diffundiert die kleine und mobile Siliziumverbindung in sämtliche Körperbereiche und passiert problemlos selbst die Blut-Hirn-Schranke. Im Zusammenspiel mit Vitamin D beschleunigt Silizium die Knochen-Mineralisierungsrate, unterstützt die Bildung von Kollagen im hyalinen Knorpel und besitzt einen „positiven Effekt“ auf das Bindegewebe. Einige Studien diskutieren eine potentielle „Schutzwirkung“ gegenüber toxischem Aluminium durch Bildung ungiftiger Aluminium-Silikate – eine Entgiftungsstrategie, die wir übrigens auch vom Bambus mit der Bildung opaloider Kieselsäureverbindungen kennen. Die Erfahrungsheilkunde zeigt darüber hinaus eine positive Wirkung bei chronischen Atemwegsinfekten und Lungenaffektionen. Wer über eine pflanzliche Add-on-Therapie bei Alterstuberkulose schmunzelt sollte erst die eindrucksvolle Forschungsarbeit von Rudolf Kobert, Direktor des Institutes für Pharmakologie und physiologische Chemie in Rostock, und seinen Beitrag „Über kieselsäurehaltige Heilmittel insbesondere bei Tuberkulose“ (1918) studieren. In histologischen Studien entdeckte er in ausgeheilten tuberkulösen Herden eine auffallende Anreichung von Kieselsäure, die er als „Resistenzmechanismus“ betrachtete. Vielleicht entstand auf Grundlage dieser Arbeit der historisch berühmte „Kobert-Kühnscher-Kieseltee“ gegen Lungentuberkulose:

R.p.
Ackerschachtelhalmkraut (Equiseti herba)                         37,5
Vogelknöterichkraut (Polygoni avicularis herba)               75,0
Gelb-Hohlzahnkraut (Galeopsidis ochrol. herba)               25,0
M.f.dekokt. D.S
.: 3 Mal tgl. 1,5 EL mit 2 Tassen Wasser ansetzten und auf die Hälfte einkochen.

Dieselben drei Kieselsäurepflanzen sind zu gleichen Teilen im „Bindegewebstee“ vom österreichischen Urgestein für Phytoterapie, Dr. Ulf Böhmig, enthalten, der mir den Menschen einst als „Kieselsäurewesen“ beschrieb (Persönliche Mitteilung 2012). Ein interessantes, noch unzureichend „entschachteltes“ Anwendungsgebiet betrifft unser Gefäßsystem durch die synergistische Wirkung von Orthokieselsäure und Flavonolglykosiden. Für beide ist eine vasoprotektive (gefäßschützende) und vasodilatorische (gefäßerweiternde) Wirkung experimentell bestätigt. Eine Kombination mit gefäßwirksamen Buchweizenkraut und dem in klinischen Studien blutdrucksenkendem Hibiskus als Geschmackskorrigens ist sinnvoll:

„Gefäßschutztee“ (nach Vogt D.)
R.p.

Ackerschachtelhalmkraut (Equiseti herba)                         35,0
Buchweizenkraut (Polygoni avicularis herba)                     45,0
Hibiskusblüte (Hibisci sabdariffae flos)                                20,0
M.f.dekokt. D.S
.: 8 Gramm der Drogenmischung in 500 ml kaltem Wasser zum Sieden bringen, 3 Minuten auf kleiner Flamme lassen, 15 Minuten ziehen lassen, abseihen und über den Tag verteilt schluckweise einnehmen. Nach 4-5 Wochen kurmäßiger Anwendung Rücksprache mit dem Therapeuten

Kieselerde oder Kieselpflanzen?

Man darf sich die in lebenden Pflanzen gebundene Kieselsäure wie ein wasserhaltiges „Silizium-Netz“ mit unterschiedlichen Maschengrößen und auch Laufmaschen vorstellen. Der Vorteil dieser nicht kristallinen, amorphen Siliziumquelle gegenüber mineralischen Präparaten liegt in der höheren Bioverfügbarkeit. Die zur Supplementierung käufliche Kieselerde ist im Falle von Kieselgur zwar biogener Herkunft, besitzt durch diagenetische Prozesse in vielen Fällen eine kristalline Struktur ähnlich wie Quarzminerale. In einer Stellungnahme deutscher Ärzte über die Sinnhaftigkeit mineralischer Kieselsäurepräparate war vor einigen Jahren zu lesen, dass man sich ebenso gut eine Fensterglasscheibe ausreichend fein zertrümmern und schlucken könne.

Dann gehen wir doch lieber in den Sumpf, zum gefährlichen Duwock, und zählen Stängelscheidenzähne ….

Viel Spaß beim Schachteln wünscht Phytagoras!